Samstag, 6. September 2014

Computerspiel: "Uffbasse Unnerwelt - De hibbelisch eBiss"

Willkommen zu einem neuen Spieltest der Zeitschrift Dada, dem beliebten Magazin zur Gamersendung Gaga. Viele von Euch werden sich noch erinnern: Vor etwa 30 Jahren wurde der ultimative Rollenspielklassiker Uffbasse mit dem ersten Teil der Serie gestartet, und die Beliebtheit der Serie, in welcher der Spieler die Aufgabe erhält, das fiktive Ei-Land "Hesse" zusammen mit drei Gefährten von diversen Gegnern zu befreien und dabei die im Handbuch vorgeschriebenen Tugenden einzuhalten, ist bis heute ungebrochen. Während der erste Teil noch in Vektorgrafik über die Grünmonitore der damaligen 8-Bit-Maschinen flimmerte, präsentierte sich das Spinoff "Uffbasse Unnerwelt - De hibbelisch eBiss" Anfang der 90er Jahre - auf insgesamt sechs 3,5''-Disketten ausgeliefert - bereits in fulminant gepixelter 3D-Grafik mit Bitmap-Texturen in 256 Farben.


Heute dürfen wir Euch das brandneue Remake dieses Epos vorstellen, welches in zeitgemäßer Grafik daherkommt. Die im Test abgebildeten Screenshots wurden auf einem System mit NVidia-Grafikkarte generiert, wobei wir keinen Unterschied zur Darstellung auf AMD-Karten feststellen konnten. Die Handlung ist gegenüber der Ursprungsversion unverändert geblieben: Der Spieler wird aus der realen Welt heraus in die Metropole des fiktiven Landes "Hesse" teleportiert, genauer gesagt in den großen, von einem Glasdach gekrönten Tempel der relativen Zeit (siehe obigen Screenshot). Der aufwendige Vorspann des Spiels wurde in der Neufassung von dem Kabarettduo "Badesalz" synchronisiert; unserer Ansicht nach eine goldrichtige Entscheidung, um die von den Autoren des Spiels erdachte witzige Sprache des fiktiven Schauplatzes von Uffbasse zum Leben zu erwecken. Im Vorspann wird in fantastischen Bilder die merkwürdige Verkettung unglücklicher Umstände gezeigt, die dazu führt, dass der Spieler für alle Zeiten in die antiken Katakomben tief unterhalb des Tempels verbannt wird.  Kleiner Tipp unsererseits: Es ist ab jetzt ratsam, einen Bleistift und kariertes Papier zur Hand zu haben, um die liebevoll gestalteten Level kartografieren zu können, denn eine Automap-Funktion wird vergebens gesucht.

Der Vorspann ist vorüber, die spannende Reise in die Unterwelt kann beginnen: Der Spieler muss sich fortan, anfangs nur mit Handkäs und der zugehörigen Musik bewaffnet, vom untersten Level 4 bis in Level 0 hochkämpfen, wobei die düstere Umgebung von einer Taschenlampe ausgeleuchtet wird. Der Redaktion von Dada gelang es, das Meisterwerk komplett bis hin zum Finale durchzuspielen: In Level 4 haben wir es mit Mäusen, Ratten und mutierten Riesennagern zu tun; in diesem Bereich gilt es, versteckte Munitionsdepots aus dem letzten Krieg (Handlungsschwerpunkt in Uffbasse II) zu entdecken, um damit verborgene Räume freizusprengen. Mit den dort aufgefundenen Gegenständen kann die Ausrüstung entscheidend verbessert werden. In Level 3 - einer Reminiszenz an den Wettbewerber Wolfenstein 3D aus den 90er Jahren - werden die Gegner deutlich unangenehmer: Hier treffen wir auf die zwei letzten Mitglieder einer Partisanenbewegung namens Werwölfe, denen vor mehr als 50 Jahren der Weg zurück an die Oberfläche versperrt wurde. Trotz ihres hohen Alters und wirren Geisteszustands leisten die beiden rüstigen Nazi-Opas Erwin K. und Hugo B. dem Spieler zwar zunächst unerwartet heftige Gegenwehr mit ihren Panzerfäusten, fallen aber letzten Endes einer Attacke unseres Äppelwoi-Werfers zum Opfer, womit der Weg in Level 2 frei ist. Übrigens: Die Lernkurve von Uffbasse Unnerwelt ist steil, wirkt aber zu keinem Zeitpunkt unfair.

In Level 2 befinden wir uns direkt in der Abwasserentsorgung für die Sanitärräume des über uns liegenden Tempelgebäudes - und hier liegt auch die aus anderen Teilen der Serie Uffbasse bekannte unterirdische Stadt Klostein, die der Tugend Reinheit gewidmet ist. Die einzigen Gegner hier sind einige plötzlich aus dem Nichts auftauchende Clochards, die sich nach Klostein verirrt haben und uns um unsere Äppelwoi-Vorräte bringen wollen; ansonsten gilt es, in dieser Stadt regen Handel mit den ansässigen Gerbern zu treiben. Dank ausreichendem Vorrat an Bembeln können wir ab sofort den Gesundheitszustand jederzeit wieder auf 100% bringen oder sogar mit Hilfe des "blauen Bocks" auf 120 % kurzzeitig steigern, um im Berserkermodus mit grüner Soße genüsslich Verderben anzurichten. In Klostein ist darüber hinaus die marode IT-Landschaft des Tempelgebäudes angesiedelt: Durch Hacken der alten Computer können Bonuspunkte erzielt und bei den Händlern direkt in Äppelwoi umgewandelt werden. Gut ausgerüstet geht es weiter in Level 1.


In Level 1 befindet sich die ehemalige Postverteilung des Tempelgebäudes, und der Schwierigkeitsgrad steigert sich ab jetzt enorm! Wer hier nicht voll bewaffnet Einzug hält, ist verloren. Die pensionierten Postbeamten, welche blitzschnell auf ihren rostgelben Elektrokarren angreifen, sind starke Gegner. Sammeln sie die im Level verteilten Postsäcke auf, wird die Anzahl der Anhänger hinter den surrenden Elektrokarren im Laufe der Zeit immer länger. Am effektivsten bekämpft man die langen Schlangen der Angreifer, indem man sie in die Wände lockt, welche mit Hilfe der in Level 3 gefundenen, magischen Leberkäsweck gezogen werden. Mit einem lauten Knall zerbersten die Postwägelchen mitsamt der Beamten; grafisch durften sich die Programmierer hier nach allen Regeln der Kunst austoben. Aber: Die Anzahl der versteckten Bembel in Level 1 ist gering, auch wenn wir einige in den Geheimräumen finden, die wir mir Hilfe des Munitionsvorrats aus Level 3 und 4 freisprengen können. Bonuspunkte gibt es für aufgelesene Postsäcke: In Level 0 werden diese später auf den finalen Punktestand angerechnet, der dann in In-App-Käufe investiert werden kann. Übrigens, soviel sei verraten: Die Parole für den Zugang zum versteckten S-Bahn-Waggon, in dem die Vorratspackung Corega-Tabs aus Level 3 an den alten Zauberer übergeben werden muss, lautet: "Ei, da lach isch wie a Hex!"


Vor Level 0 wartet der Endgegner in Gestalt des fedden Kontrolleurs: Er greift uns nicht nur mit heftigem Gebabbel an, sondern wirft auch mit schweren Anzeigetafeln, die schweren Schaden zufügen und unsere Gesundheit schnell auf 0% sinken lassen. Ab hier sollte oft gespeichert werden! Die einzige Möglichkeit, den Kontrolleur zu bekämpfen, besteht darin, die Uhren der Anzeigetafeln von der geplanten auf die tatsächliche verspätete Abfahrts- bzw. Ankunftszeit der angezeigten Zugnummern umzustellen, und die Tafel anschließend - zusammen mit einem der vielen Metropolitan-Becher, die hier überall herumliegen - zurückzuwerfen. Dies erfordert viele Anläufe und führt schnell zu stundenlanger Frustation. Ist dieser Gegner aber besiegt, erreichen wir endlich das ersehnte Finale: In der lichtdurchfluteten Glashalle des Level 0 treffen wir beim Klang silberner Fanfaren auf Graf Koks, den gütigen Herrscher von "Hesse". Von seinem Thron herab begnadigt er uns, dankt uns babbelnd für die erfolgreiche Rettung seines Landes vor den Attacken des fedden Kontrolleurs und entlässt uns mit der S3 vom Tiefbahnhof in Level 1 aus in Richtung Bad Soden. Wir sind zurück in der Realwelt. Vorbei ist das Remake von Uffbasse Unnerwelt, welches von uns eine Gesamtwertung von 86 Prozent erhält. In der nächsten Ausgabe werden wir einen Blick auf das neue Computerspiel dieser Serie mit dem Titel "Uffbasse XI - Be de Dribbdebächer" werfen.

Donnerstag, 4. September 2014

Dein Kunststoff-Freund für die schönen Stunden des Lebens

Haben Sie die Überschrift gelesen? Okay, 3...2...1..., Kopfkino läuft. Nun mal ehrlich, was denken Sie denn von mir? Nein, Hand aufs Herz, ich habe Google per Handschlag zusichern müssen, dass hier auf diesen Seiten nur jugendfreie Inhalte eingestellt werden. Andererseits, Sie haben es vielleicht selbst schon erlebt: US-amerikanische Firmen fragen ja auch allen Ernstes nach, was Sie mit dem gerade frisch im Onlineshop konfigurierten und nun im virtuellen Warenkorb liegenden Notebook in der Realität so alles anstellen wollen, bevor man Sie zur virtuellen Kasse gehen lässt. Falls Sie auf die Frage: "Möchten Sie dieses Produkt zur Durchführung oder Planung terroristischer Aktivitäten nutzen?", grundehrlich mit "Na klar!", "Aber sicher!" oder "Geht das denn?" antworten: Böööb! Falsch, ganz falsch.

Böser Fehler. Jetzt erst einmal tief Luft holen. Zurück auf Los? Geht nicht. Der so auffällig unauffällige weiße Lieferwagen, der gerade in diesem Moment vor Ihrem Haus hält, wird die ganze Nacht dort bleiben. Die "ganze" Nacht. Wo Sie morgen sein werden? Keine Ahnung, ist mir auch egal, denn ich habe Sie ja gewarnt: Denken Sie etwa, ich würde hier ordinär über einen - hüstel - "Plastephallus" schreiben? Nein, weit gefehlt, dies wird eine Ode an den Vater des legendären Babelfisches und - gleichzeitig! - an mein Navigationsgerät. Darum überlegen Sie sich die richtige Antwort auf meine Frage: "Wollen Sie mehr erfahren?", jetzt ganz genau. Ja, das war goldrichtig, kein weißer Lieferwagen, also geht's weiter mit einem Zitat aus Douglas Adams' berühmtem Buch "Per Anhalter durch die Galaxis":
"Die Encyclopaedia Galactica definiert einen Roboter als eine technische Vorrichtung, die dazu dient, dem Menschen die Arbeit abzunehmen. Die Marketing-Abteilung der Sirius-Kybernetik-Corporation definiert einen Roboter als >>deinen Kunststoff-Freund für die schönen Stunden des Lebens<<."
Soweit das schöne Zitat von Douglas Adams. Sie wissen, wie es weitergeht? Falls Sie das Buch nicht kennen sollten: Zum einen ist dies eine Bildungslücke, die Sie umgehend schließen sollten, zum anderen, nun ja, es geht ungefähr so weiter, dass die Marketing-Abteilung der Sirius-Kybernetik-Corporation, einem "Rudel hirnloser Irrer", später gewisse "Probleme" bekommen wird. Später, das heißt, nach der Revolution, die bekanntlich immer irgendwann einmal im Laufe der Weltgeschichte kommt, und nach der die Marketing-Abteilung an die Wand gestellt werden wird. Sie verstehen nicht, auf was ich hinaus will? Lesen Sie das Buch! Ansonsten: Tun Sie mir den Gefallen und ersetzen Sie im obigen Zitat das Wort Roboter durch das schöne Wort Navigationsgerät. Aaah, jetzt verstehen Sie. Genau, darauf will ich hinaus. Wir alle lieben Navigationsgeräte! Und nun betrachten Sie das nächste Bild:


Na, haben Sie es gesehen? Falls nicht, bitte noch einmal hinschauen. Ja, die lustigen Navis! Immer zu einem kleinen Scherz aufgelegt. Hier würde ich es aber allenfalls einen flachen Kalauer nennen. Insbesondere, wenn man, so wie ich gerade, auf der reizvollen Bundesautobahn 3 irgendwo südlich vor den vergoldeten Kuppeln des sagenumwobenen Bischofssitzes zu Limburg in Fahrtrichtung Köln in einer der vielen schönen Bundesbaustellen im Stau steht. In einem sch... Stau! Auf den zwei linken Spuren läuft nichts, rein gar nichts, aber auf der abgetrennten, rechten Spur neben mir rollt der Verkehr munter weiter. Murphy hat wieder gnadenlos zugeschlagen. Und in diesem Moment, mitten im tiefsten Hessen, entscheidet das "witzische" Navi, den noch ahnungslosen Flecken Oberbrechen mit Hilfe vieler niedlicher Pixelautos seiner ersten beiden Buchstaben zu berauben, um auf diese Weise meinem in diesem Moment - "Hach, noch 3 Kilometer Stau! Welch Wonne!" - empfundenen Wunsch nach Erleichterung Ausdruck zu verleihen.

Der für gewöhnlich so phlegmatische Kunststoff-Freund in der Mittelkonsole, dem sonst nur meine Verachtung angesichts seiner schlechten Ratschläge, Weissagungen und Ortskenntnisse gilt, möchte mir damit wohl sagen: "Dieser Stau, Du Drecksack, ist meine Rache an Dir! Verrecke in der Hölle!" Hat er uns beide mit Weitsicht in den Stau gelotst, um mir das endlich einmal mitzuteilen? Ist es Zeit für die Paartherapie "Dein Navi und Du"? Irritiert erinnere ich mich an die von der Sirius-Kybernetik-Corporation konstruierten Türen, welche sich gerne für die sie benutzenden Personen öffnen, indem sie ihnen mitteilen:
">>Hummmmmmmmmmyummmmmmmmmmmmm    ah!<<"
Für solche Worte hätte ich mein Navi in diesem Moment augenblicklich mit dem Ausruf "Erbreche!" in die unendlichen Weiten der Mittelkonsole gestampft, in dem sicheren Wissen, dass irgendein hirnloser Irrer irgendeines Tages Navigationssysteme mit Emotionschip bauen wird. Und wenn es die Sirius-Kybernetik-Corporation ist. Aber Sie haben das Buch ja noch gar nicht gelesen. "Wollen Sie dieses Buch jetzt in den Warenkorb legen?" Oups, ich muss weg! Draußen hält gerade ein Lieferwagen. Ein "weißer" Lieferwagen...

Dienstag, 2. September 2014

Nostalgie in Kaugummi

<Fanfaren>

Die Kunstgalerie Wekeln präsentiert: 100 Meisterwerke.
Heute: "Der Verkaufsautomat", Aktionskunst, Skulptur aus Metall, hohl, Bundesrepublik Deutschland 1972.


<Avantgardistische Klaviermusik>

Ein sich verlegen in eine Hecke zurückziehend scheinender Kaugummiautomat in der ostfriesischen Provinz ist geneigt, beim Betrachter älteren Semesters wehmütige Erinnerungen an Cordhosen mit Schlag, an "Das feuerrote Spielmobil" sowie an die Sturmklingel am bandumwickelten Fahrradlenker auszulösen. An eine Zeit, als Vater Staat sein Volk in allen Bereichen des Lebens liebevoll umsorgt: Die Bundesbahn fährt mit ihren letzten Dampfzügen auch bei dem vom holländischen Showmaster besungenen und von der SPD verschuldetem schlechten Wetter unpünktlich, während der Bundespostbeamte dem Bundesbürger nach nur wenigen Monaten Wartezeit das angemietete nikotingraue Wählscheibentelefon installiert. Und natürlich nur unter der Voraussetzung, dass dieser Fernsprechteilnehmer in spe kein KPD-Parteibuch besitzt. An den mit Kopfstein gepflasterten Straßen stehen zahlreiche gelbe Telefonzellen, auf deren blanken Scheiben freundlich mit den Slogans "Fasse Dich kurz!" und prärechtschreibreformiert "Vergißmeinnicht die Postleitzahl" geworben wird; betritt man eine dieser Zellen, so findet man im Innern mehrere dicke, schwere Telefonbücher sowie einen noch schwereren schwarzen Hörer, den eine unsichtbare Aura aus purem Zeitgeist vor schnurloser Verwendung schützt. Neben der gelben Zelle hängt ein ebenso gelber Kasten: Die in diesen eingeworfenen Briefe werden nach nur wenigen Tagen Laufzeit vom Postbeamten zuverlässig zugestellt, sofern Tante Elli aus Karl-Marx-Stadt das Schreiben, in dem sie recht herzlich für das letzte Paket Bohnenkaffee dankt, nicht grob fahrlässig mit der Marke "10 Jahre Antifaschistischer Schutzwall" frankiert.

In dieser schönen Zeit wird unser Verkaufsautomat aufgestellt, als es im Röhrenfernseher nur die drei Kanäle mit quotenfreiem Bildungsauftrag und nächtlichem Testbild gibt, als das in fluoreszierenden Farben angebotene Eis noch mit dem Qualitätsmerkmal "Garantiert ohne natürliche Zutaten" beworben wird, als hutbewehrte Kraftfahrer noch ungefiltert die Extraportion Blei aus dem Kreiskolbenmotor des vor ihnen so unerwartet bremsenden Ro 80 schnuppern und sich beim anschließenden Aufprall auf das Lenkrad noch als echte Männer beweisen dürfen. In den Anfangstagen des Automaten, noch frisch in den lockenden Warnfarben Rot und Weiß lackiert, sind regelmäßige Befüllungen aus dem Bauch eines eierschalenbeigen Hanomag-Henschel-Lieferwagens mit Norder Kennzeichnen zu beobachten. Nachdem die nahe Schulklingel hell und laut das Ende des Unterrichts verkündet hat, füttern Lederranzen tragende Grundschüler den Automaten aus Brustbeuteln heraus mit 5- und 10-Pfennig-Stücken, um an den in lokaler Mundart "Schlickersachen" genannten Inhalt zu gelangen - dem gerechten Lohn für das kräftezehrende Drehen der Kunststoffkurbel und dem von einem leisen Quietschen begleiteten Öffnen der silbernen Klappe, welche hernach mit einem schnellen, satten "Klack!" zufällt.

Je mehr Jahre vergehen, desto seltener werden dem Automaten Münzen zugesteckt, desto seltener wird er befüllt. Doch was der Mensch vernachlässigt, weckt das Interesse der Natur: In diesem Wissen dürfen wir heute dem Ringen der Hecke beiwohnen, welche den Verlockungen des süßen Verkaufssortiments erlegen ist und ihre grünen Ranken wie Finger nach dem Inhalt ausstreckt; ein Unterfangen, welches der Arbeit des Sisyphos gleich vergebens ist. Schuld ist - wie so oft - der Mensch: Die Heckenschere des Besitzers eines angrenzenden Gastronomiebetriebs weiß es sicherlich auch diesmal zu verstehen, den Drang des nimmersatten Grüns in Richtung der so verheißungsvollen Öffnungen des Verkaufsautomaten zu beenden, indem sie der Hydra mit einem metallischen Klicken unbarmherzig die Köpfe abtrennt. Bei genauerem Blick werden die noch frischen Narben im umgebenden Gestrüpp sichtbar, die verbotene Neugier des zuckersüchtigen Strauches wurde mit schmerzhaften Wunden bestraft. Dem Betracher erscheint dies unfair, war es doch die schützende Hecke, welche den Automaten einst vor den bebrillten Argusaugen des lokalen Schrottsammlers verbarg.

Erst vor wenigen Jahren wurde der Automat überraschend aus seinem Dornröschenschlaf geweckt, als im Zuge des anekdotenreichen Wettbewerbs "Unser Dorf soll schöner werden" der Prinz in Gestalt der Heckenschere  erschien. Denkmalpflege und Ökonomie führten zur Inflationsangleichung der Münzmechanik, während der Inhalt dem Zeitgeist angepasst wurde: Das Tragen eines der "echten Mini-Taschenmesser" aus Fach 3 ermöglicht dem Delinquenten nach ehrlichem Einwurf eines 10 Cent-Stücks die unehrliche Aneignung eines kaum getragenen Paars Nike Air Max - selbstverständlich aus der limitierten Sammleredition. Die mit dem Verkaufssortiment zu erzielende Wertschöpfung erfüllt damit höchste Ansprüche und darf zweifellos als zukunftssicher bezeichnet werden. In weiser Voraussicht wird der kostbare, mit je 50 Cent bepreiste Inhalt des Fachs 1 durch ein Drahtgeflecht vor dem Vandalismus der heutigen Zeit verborgen, während Fach 2 den anglophonen Heranwachsenden mit der so verheißungsvollen Ankündigung "Center Shock" lockt.

Die Lackierung des Automaten ist hingegen zur Freude des Kunstliebhabers im Laufe der vergangenen vier Dekaden nicht erneuert worden: UV-Licht und Verwitterung durften somit ungezügelt ihre verderbliche Kreativität unter Beweis stellen, ergänzt um die mysteriösen Keilschriften pubertierender Pennäler. Die einst so kräftige rote Farbe des Rahmens musste einer neuen Farbschöpfung, vorläufig noch ohne RAL-Normierung, weichen. Die weiße Farbe, welche die Zeiten unverändert überdauert hat, besteht im Gegensatz dazu aus einem Chemiecocktail, dem heutzutage jegliche Möglichkeit auf eine Zulassung abgesprochen werden muss.

<Dramatische Klaviermusik>

Doch letzten Endes wird die Natur eines Tages obsiegen: In den Tagen der Apokalypse - möglicherweise ausgelöst durch die in ihrer Stringenz noch unreifen Bedienvorgänge des im Kernkraftwerk Rysumer Nacken voluntierenden Praktikanten Patrick B. und der in der Kausalkette folgenden Kernschmelze - wird auch die emsige Heckenschere ihren Dienst quittieren, der Verkaufsautomat daraufhin für alle Ewigkeit im Schlund des berankten Organismus - oder wahlweise eines mutierten Wiedergängers - verschwinden.

<Leichtes Geklimper, Klaviermusik verstummt>